Der Ziegenhirte von Nerchau

Die folgende Geschichte erinnert an eine Bildergeschichte des weltbekannten Zeichners und Karikaturisten Wilhelm Busch. Sie stammt aber nicht von ihm, sondern hat sich tatsächlich in Nerchau vor reichlich hundert(fünfzig) Jahren zugetragen.

Damals und noch bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts gehörten zu Nerchau zwei Windmühlen, eine Holländermühle in der Würschwitzer Straße und eine Bockmühle, die vom Müller jeweils nach der Windrichtung gedreht werden konnte, auf dem sogenannten „Sandhübel“ östlich der Grimmaischen Straße 43 (das ist die leichte Bodenwelle hinter den Häusern nördlich vom heutigen Netto-Markt).

Die Bockmühle wurde später abgebrochen und verkauft. Bei Jüterbog hat man sie wieder aufgestellt, wo sie noch lange treue Dienste geleistet haben soll. Diese Mühle führte „unverschuldet“ ein tragik-komisches Ereignis herbei.

Der Vater des schon lange verstorbenen Sattlermeisters und ehemaligen Pächters der Nerchauer Bahnhofswirtschaft Theodor Pautze war Schuljunge, als er in Nerchau das Amt eines Ziegenhirten in seiner Freizeit ausübte. Ob aus Neigung oder Zwang ist nicht bekannt. Jedenfalls trieb er gern seine Ziegen zur Mühle auf dem „Sandhübel“ hin. Hier brachten die Mühle, der Müller und seine Mahlkundschaft mancherlei Abwechslung in das Einerlei seines Hirtenlebens. Es war ihm zur Gewohnheit geworden, sich und seine Herde in respektvoller Entfernung von den kreisenden Windmühlenflügeln zu halten.

Eines Tages aber stand die Mühle. Die Flügel drehten sich nicht mehr, obwohl der Wind ging. Aus irgendwelchen Gründen halte der Müller die Mühle außer Betrieb gesetzt.

Nun hatte der Junge unter seinen Ziegen ein Tier, das ihn immer ärgerte, aus dem Wege ging und ihm viel Rennerei und Jagerei verursachte. An diesem Tage war es wieder schlimm. Kurzerhand schnappte er sich die Ziege und band sie an den unten stehenden Windmühlenflügel in dem Glauben, eine Weile Ruhe zu haben. Er hatte sich kaum herumgedreht, da wurde die Mühle plötzlich wieder in Gang gesetzt, die Flügel fingen an, sich zu drehen.

Das weitere kannst Du Dir, lieber Leser, selber ausdenken. Ob der Müller dem Jungen einen Streich spielen wollte oder tatsächlich nicht bemerkt hatte, das die Ziege an einem Flügel festgebunden war, ist unbekannt.

(Dieser Text wurde 1974 vom Heimatforscher Walther Koch verfasst und 2020 etwas aktualisiert.)

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