Tongruben und Tonlager in Nerchau

Auf Grund von geologischen Untersuchungen wurde ein mächtiges Tonlager in Nerchau festgestellt, das sich vom Osten her im Raum Cannewitzer Straße – Würschwitzer Straße – unter der Grimmaischen Straße hinweg nach Westen fast bis an den Rand des Muldentals hinzieht. Weiterhin gab es und gibt es teilweise noch Tonlager in der sogenannten Wüstrich. Das ist das Gebiet hinter dem Städtischen Wasserwerk in Richtung Fremdiswalde – Pyrna, also nordöstlich von Nerchau.

Die ersten Tongruben in Nerchau wurden um 1854 durch den Bauern August Hessel erschlossen. Dieser betrieb neben seiner Landwirtschaft einen Handel mit Ton und Sand. Beide Bodenprodukte wurden in Nerchau in offenen Gruben abgebaut und sollen nach früheren Angaben als Rohstoffe für die Porzellanherstellung verwendet worden sein. Aus diesem Unternehmen entwickelten sich später die „Farbenwerke Friedrich & Carl Hessel AG“, die den Tonhandel einstellten und zur Herstellung von Farben (Farbpulver) übergingen. Nach 1945 ging der Betrieb in Volkseigentum über und hieß dann „VEB Farbenfabrik Nerchau“. Dieser Betrieb existiert seit 1990 nicht mehr.

Um 1850 begann ein zweiter Einwohner von Nerchau Ton zu schlagen. Es war ein gewisser Christian Friedrich  Kretzschmar. Sein Geschäft wurde von seinem Sohne Guido  Kretzschmar bis in die 1920-er Jahre, dem Zeitpunkt seines Todes, weitergeführt und von einer seiner Töchter in bescheidenem Umfange weiter betrieben. Die Familie Kretschmar besaß mehrere Tongruben in der Wüstrich und unmittelbar hinter den Häusern zwischen der Cannewitzer und Würschwitzer Straße.

Die Gruben wurden jeweils nach Ende der Ausbeutung wieder zugeschüttet. Der gewonnene Ton ging z.T. nach Meißen (nicht in die Porzellanmanufaktur), nach Kohren (Kunsttöpferei) und in Ofenfabriken. Gewisse Mengen Ton wurden getrocknet und pulverfein gemahlen. Das Tonpulver fand Verwendung in Rauchwarenzurichtereien beim Entfetten der Felle, in Seifenfabriken als Seifenzusatz (Kriegsseife) sowie als Schleifmittel. Teilweise wurde der feingemahlene Ton auch wieder angefeuchtet und in zylinderförmige Stangen gepresst. Diese wurden wiederum getrocknet und als Anstrich zum Weißen von Steinstufen verwendet.

Um 1910  erschloss Ferdinand G r a m p eine Tongrube in der Grimmaischen Straße. Bis ca. 1954/55 wurde daraus Ton gewonnen, der in Ofenfabriken, Steingutfabriken und Schamottewerke geliefert wurde. Zunächst betrieb Ferdinand Gramp das Geschäft selbst. Nach seinem Tode (im Weltkrieg 1914/18) verpachtete seine Witwe die Grube an verschiedene Firmen. Die Grube wurde schließlich wegen Unrentabilität geschlossen und diente jahrzehntelang als Ausfülle und Schuttabladeplatz (Deponie) für Nerchau. Ende der 1970-er Jahre war sie vollständig ausgefüllt. Danach entstanden auf der aufgefüllten Fläche Gärten mit Lauben und Garagen. Ein Stück schöner Nadelwald wurde angepflanzt und es lässt sich heute nicht mehr erahnen, dass hier ehemals eine große und tiefe Tongrube ausgebeutet wurde.

In der Cannewitzer Straße wurde in den 1930-er Jahren eine weitere neue Tongrube erschlossen, die bis in die 1980-er Jahre Ton lieferte. Die Verladung erfolgte am Rande der Grube direkt in offene Güterwagen, die – wie auch die Waggons für die Farbenwerke –  auf einem Fahrgestell (Tieflader) vom Güterbahnhof in Nerchau bis zur Grube und zurück von einem „Kuhlemeier“ als Zugfahrzeug gefahren wurden. Nach Einstellung des Abbaus wurde ein Teil der Grube verfüllt. Das Restloch ist heute ein von Bäumen umsäumter Teich.

(Dieser Text wurde 1974 vom Heimatforscher Walther Koch verfasst und 2020 auf den neuesten Stand gebracht.)
Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.