Der Prozeßbirnbaum

„Nerchauer Geschichten“

Die Tochter des bekannten Polizeidieners Leipnitz heiratete den Viehhändler Heinrich Liebscher. 1895 riss Liebscher das alte Haus seines Schwiegervaters in der Grimmaischen Straße ab und baute neu. Er rückte etwas nach der Straße vor und verkleinerte den Vorgarten. Zuerst hatte das Haus nur ein Erdgeschoß, wurde aber 1905 aufgestockt und erhielt seine noch heutiges Aussehen (Tischlerei Steuer). Der Vorgarten verschwand und Liebscher lies den Fußweg ausbauen und pflastern. Zwei Birnbäume aus dem Vorgarten blieben stehen, standen auf dem Fußweg und man musste einen Bogen um sie machen. Ein Baum ging später ein und der noch übrig gebliebene wurde zum Streitobjekt in einem Prozess, den Liebscher führte und gewann.

Prozeßbirnbaum

Es war kein schöner Baum, aber blühte jedes Jahr, Liebscher nahm die Birnen ab (Rettichbirne) und in ihm nisteten die Stare, die Liebscher so gerne morgens pfeifen hörte, genau vor dem Schlafzimmer. Das fröhliche Treiben der Vögel war für Liebscher eine besondere Freude. Eines Tages kamen frühmorgens einige arbeitslose Nerchauer mit Beilen , Hacken und Spaten und begannen den Fußweg um den Baum auf zu reißen. Sie sollten im Auftrag der Stadt den Baum entfernen. Liebscher blieb die „Spucke weg“ , dann ging das Spektakel los und endete vor dem Amtsgericht Grimma. Liebscher eilte zum Bürgermeister Ackermann, nachdem er erst einmal die Arbeiter verjagt hatte und wollte Klärung des Vorfalls. Bürgermeister Ackermann sagte ihm, der Baum gehört der Stadt, weil er auf dem Fußweg steht. Er behindert die Fußgänger und müsse deshalb weg. Ackermann begründete dies so, Liebespaare kämen eng umschlungen nicht dran vorbei und die Gäste aus dem Gasthaus „Gute Quelle“ rempeln auf dem Heimweg an.  Außerdem würde Liebscher jedes Jahr die Birnen „mausen“, sich also am Stadteigentum vergreifen. Das war Liebscher zu viel. Er strebte den Prozess an gegen die Stadt und gewann, weil :

  1. Der Fußweg nach wie vor im Privatbesitz Liebschers war, weil der Fußweg ja anstelle des Vorgartens entstand, er also Besitzer von Fußweg und Birnbaum war
  2. Er sagte, wenn die Gäste der „Guten Quelle“ so besoffn sin, das se den Boom nich sehn, dann sulln se sich ruhig den Gobb neirenn……
  3. Er den Baum nicht entferne, weil er an den Staren seine Freude hat, zum Richter sagte er: „Sie hamm ne Frau, Herr Richter, un hamm ihre Freide dran, ich hawe keene mehr un da sinn die Stare äm dr Ersatz, da hab ich meine Freide dran, un die lass‘ ch mr nich näm…….

1934 wurde der Baum dann mit dem Einverständnis von Liebscher entfernt, weil er abgestorben war…

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